Jugend und Demokratie

Ihr seid gemeint!

von Prof. Dr. Frank E.P. Dievernich

Vorstandsvorsitzender Stiftung Polytechnische Gesellschaft

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Ich bin 53 Jahre alt – und schreibe hier über die Jugend. Eine Anmaßung? Eher der Versuch, sich jener Generation zu nähern, die den Rest meiner Zukunft gestalten wird – und in die ich meine Hoffnung lege. Vielleicht ist es der wichtigste Staffelstab, der zwischen Generationen übergeben wird.

Jener Übergabe und Vermittlung von grundlegenden Werten und Prinzipien, auf denen unsere freie, demokratische Grundordnung aufbaut. Demokratie ist nicht in Stein gemeißelt, sie muss stets aufs Neue erarbeitet werden. Von Generation zu Generation. Dabei wird nie das Gleiche übergeben. Anforderungen an Demokratie wandeln sich, da sich das gesellschaftliche Umfeld in einer steten Transformation befindet. So ist das mit dem Sozialen: Es verändert sich laufend. Konstant bleibt jedoch unser Grundgesetz, die Idee, dass die Gewalt vom Volke ausgeht, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, dass wir eine Stimme haben. Seit jeher wurde und wird für diese Teilhabe gekämpft. Wollen wir eine soziale Gesellschaft bleiben, wird das auch in Zukunft so sein müssen.

Im Alltag unserer digitalisierten Wohlstandsgesellschaft kann schnell der Eindruck aufkommen, dass es das Ringen um die Demokratie nicht mehr braucht: Alle Informationen sind verfügbar, auch unbequeme Meinungen, sogar jene ohne Faktengrundlage, können frei geäu- ßert werden, das Konsumangebot ist überbordend und die persönliche Freiheit fast grenzenlos. In einem solchen Klima kann manch einer durchaus die Notwendigkeit für die Dauerarbeit an der Demokratie vergessen, ja gar über sie einschlafen. Davon erzählen auch die zunehmend mageren Wahlbeteiligungen.

Dann aber, fast plötzlich, tauchen Themen in der Öffentlichkeit auf, die uns nicht kalt lassen, die dazu führen, dass sich Stimmen aus unserer Mitte erheben. „Fridays for Future“ sind eine solche Stimme – und sie stammt aus einer Jugend, die erwacht ist, zumindest sich aber nicht schlafen legt. Und das ist gut so. Die Stimme zu erheben, heißt den Anspruch zu formulieren, Gesellschaft gestalten zu wollen. An uns, den Alten, liegt es nun, den vielfältigen Stimmen der Jugend genau zuzuhören, auf sie zuzugehen und Räume des ernsthaften Austauschs zwischen den Generationen zu schaffen.

In einer Gesellschaft, die derart komplex und schnelllebig ist, braucht es den Mut, neue Formen demokratischer Mitgestaltung auszuprobieren. Gerade im Kontext des globalen Klimawandels braucht es dies, da wir das gesellschaftliche Leben schnellstens umstellen müssen, ohne die Bürgerinnen und Bürger, das gesellschaftliche Miteinander, dabei zu verlieren. Es ist auch eine starke Möglichkeit, sich die Selbstwirksamkeit zurückzuerobern. Ernsthaft gehört zu werden, gar mitzubestimmen, in einer Gesellschaft, die bereits final durchstrukturiert erscheint, das ist wichtiger denn je. Findet das nicht statt, ist zu befürchten, dass sich entweder Machtlosigkeit breitmacht oder resignierend in den Schlafmodus des Geschehenlassens gewechselt wird. Davon haben wir zu viel, das können wir uns nicht mehr leisten.

Jugend ist Hoffnung, Jugend ist Zukunft. Wenn man das ernst meint, dann muss die Jugend so früh als möglich in Verantwortung gebracht werden. Verantwortung für den sozialen Kontext, in dem sie lebt. Dann muss Demokratie aus dem musealen Kontext herausgerissen und – so früh wie möglich – im alltäglichen Leben der Menschen erfahrbar werden.

Demokratie war immer ein zeitlich befristetes Unterfangen, ein Experimentierfeld, welches wiederum korrigiert werden kann. So ist der Kern jeder demokratischen Wahl konzipiert. Sie verteilt Macht nur für eine bestimmte Zeit. Das Leben tut es gleich. Aber das wollen die vorherigen Generationen oft nicht wahrhaben und halten am Alten fest. Während sie das tun, denken sie, sie täten etwas Wichtiges und Kluges für die junge Generation, weil sie einen erfahrungsbedingten Weitblick haben. Dabei waren sie es, natürlich immer im besten Wissen und Gewissen, die dazu beigetragen haben, das ökologisch-soziale-ökonomische System zum Kollabieren zu bringen – und das trotz der vielen technologischen Fortschritte, die wir bis dato erschaffen haben. Wenn sie nun etwas Gutes tun wollen, dann müsste die Hauptverantwortung von uns Alten darin liegen, die Jugend so schnell als möglich in die Verantwortung des demokratischen Prozesses zu bringen und diese zu befähigen, dass auch annehmen zu können. Dazu gehört auch, einer durch die Schnelllebigkeit der sozialen Medien beeinflussten jungen Generation zu vermitteln, dass Demokratie sich nicht bloß in Einzel-Aktionismus und einem Event-Charakter ausdrückt, sondern ein immer wieder mühsamer Überzeugungs- und Aushandlungsprozess ist. Durchhaltevermögen wird benö- tigt. Wir, die Älteren, müssen viel früher loslassen als wir je gedacht haben, müssen ernsthaft beginnen zu lernen, wie die Jugend wahrnimmt, was sie denkt, was sie fühlt, was sie hofft, was sie will – um sie dann auf Augenhöhe zu erreichen.

Angesicht der sozialen Medien ist immer wieder zu hören, dass man die Bevölkerung – und damit auch die jungen Menschen – nicht an Formen neuer, partizipativer Demokratie teilhaben lassen kann, da diese Medien manipulativ seien. Dabei ist es aber die Jugend, die wie keine andere Generation in diesen sozialen Medien groß geworden ist, und sich darin noch ihr ganzes Leben lang aufhalten wird. Gerade diese müssen befähigt werden, das Manipulative sehen und abwenden zu können. Unbestritten dürfte sein, dass ihre digitale Technikkompetenz gegenüber früheren Generationen extrem stark ausgebildet ist. Jedoch, um diesen "Staffelstab der Demokratie" gut übergeben zu können, braucht die Jugend dringend Medienkompetenz. Ebenso politische Bildung. So früh wie möglich braucht es den Gebrauch des Rechts auf Mitsprache, das kritische Denken und aktive Mitgestalten. Möglichkeiten der Beteiligung müssen aufgezeigt werden. Denn nur wer wirklich beteiligt wird, kann sich für Demokratie begeistern und fühlt sich gehört und gesehen. Das ist der Job, den wir als ältere Generation jetzt zu leisten haben: diesen Zugang für die Jugend sicherzustellen.

Angesichts des Zustandes der Welt haben wir keine Zeit mehr zu verlieren. Mut kann man in der Demokratie nicht wählen, man muss ihn zeigen. Das gilt für Alt und Jung gleichermaßen. Und wir Alte haben mittlerweile oft genug gezeigt, dass uns die Sicherung des Status quo näherliegt, als uns wirklich experimentell auf eine unsichere Zukunft einzulassen. Täglich kann man sich das im Kontext der Klimakrise vor Augen führen. Damit wir selbst aus unserem Käfig ausbrechen können, müssen wir uns auf die Suche nach der Jugend machen, mit ihr quasi in einer Koproduktion zusammenarbeiten, um gegenseitig die Sprache des anderen zu verstehen. So schaffen wir es dann auch, die Demokratie als gemeinsames, intergenerationales Lebenswerk am Leben zu halten.

 

Dieser Beitrag wurde ursprünglich im Journal Frankfurt veröffentlicht.

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